Mein Abschied von Gross Tuchen

Else Bechert geb. Kautz Riesa, im Januar 1995

Mein Abschied von Groß Tuchen 1945

Erstmals wurden wir Anfang März auf die Flucht getrieben. Jeden Tag wurden wir von Bomben bedroht. Wir waren dankbar, wenn man gesund weiterkam. Kurz vor Neustadt wurden wir von den Russen eingeholt. Rechtzeitig kamen wir von der Straße und landeten auf einem Gutshof. Auf der Straße hatten die Russen mit ihren Panzern alles überrollt; es war grausam.

Von dort mußten wir zurück; Straßen durften wir nicht befahren. Die Straßen waren sehr schlecht, und es brach vom Wagen eine Achse. Der Wagen mußte stehenbleiben. Wir suchten im nächsten Dorf eine Bleibe. Es war Neu Warsin im Kreis Stolp. Dort wurden wir gut aufgenommen. Der Wagen wurde am anderen Tag mit Hilfe dorthin geholt. Es war alles noch drauf. Die Papiere, Sparbücher, Ausweise und was sonst noch war, hatten die Russen uns vorher genommen.

Dort blieben wir bis Ende Mai; hatten dort reichlich zu essen. Mein Vater ging zu Fuß nach Hause, sechzig Kilometer. Er hatte viele Schwierigkeiten und sollte sogar erschossen werden. Aber verschiedene Polen kannten ihn. So landete er nach sechs Wochen bei uns. Ende Mai traten wir unseren Heimweg an mit Pferd und Wagen. Wir hatten ein Pferd von den Russen bekommen, weil seine Hufe kaputt waren; aber es war ausgeheilt. Wir kamen gut zu Hause an. Das Haus war ausgeplündert, sogar Fensterflügel fehlten. Wir machten es uns einigermaßen wohnlich und waren sehr glücklich, heim zu sein; hatten sogar Glück und fanden auf den Feldern eine Kuh von unseren; die war in Pyaschen, auch ein Hund. Der Conny, der bei Deuble gewesen war, war bei der Miliz. Da wir ihn oft beschenkten, wenn er bei uns vorbei fuhr, so dachte er daran und holte uns die Kuh raus. Es durfte keiner sie uns nehmen, und wir hatten sie, bis wir fort mußten. Wir bekamen im Juli einen Polen für die Wirtschaft. Im August schossen die Polen unser Haus in Brand. Was unten drin war, wurde noch gerettet.

Dann wurden wir bei Polzins untergebracht; aber bald darauf kamen wir in das Haus von Josef Malottki hinter dem Friedhof. Der Pole wohnte auch mit seiner Familie dort. Mein Vater, Onkel und meine Schwester mußten dort arbeiten. Meine Mutter und ich waren krank. Wir hatten noch Kartoffeln gepflanzt. Es war eine wunderbare Ernte geworden. Aber wir waren zuviel Esser, und so mußten wir Ende November fort.

Unser Transport ging von Bütow nach Konitz. Dort wurden wir in einen Zug gesteckt und nach Küstrin in Kasernen gebracht. Dort waren wir elf Tage, bis der Transport nach Deutschland ging. Wir waren vier Tage und Nächte in Viehwagen eingepfercht, bis wir in Loitz, Kreis Grimmen ausgeladen wurden. Von dort wurden wir auf Dörfer verteilt. Wir hatten Glück und landeten auf einer Försterei. Wir hatten ein Zimmer für sechs Personen oben, bekamen im Keller eine Kochgelegenheit und erhielten dort gleich vier Zentner Kartoffeln. Möhren und Zuckerrüben konnten wir stoppeln.

Zu Weihnachten wurden wir bedacht und bekamen vom Gutsbesitzer Weizenmehl, vom Förster Zucker und erhielten sogar einen kleinen Baum. So hatten wir ein schönes Weihnachten 1945. Vater und Onkel wurden gleich als Waldarbeiter eingestellt, und ich bekam den Pflanzgarten. So hatten wir gleich ein kleines Einkommen. Wir wollten nach Rheinhausen zur Schwester. Leider war sie Anfang Dezember 1945 verstorben. Das war ein harter Schlag, und es traf uns sehr. So blieben wir da. Mutti war auch sehr krank; und wir waren dankbar, eine gute Unterkunft zu haben. 1952 habe ich geheiratet, hatte eine Siedlung, und es ging aufwärts.

Ich habe durch diese schwere Zeit einen festen Glauben bekommen, kann jeden Tag dankbar sein, wenn man merkt, wie eine schützende Hand über einem steht und man sicher geführt wird. Mein Konfirmationsspruch war auch mein Trauspruch: "Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen, denn du bist mein Gott; dein guter Geist führte mich auf ebner Bahn." [Psalm 143.10]

gez. Else Becher geb. Kautz, Abbau Groß Tuchen Wahrländer