Polnische Milizsoldaten und Offizielle 
überwachen die Vertreibung Deutscher
aus dem Kreis Bütow im Jahre 1945
(Quelle: Kaschubisches Museum
in Bütow
)
 

Polnisches Propagandabild,
das die Verteilung von Brot
an Vertriebene
im Bahnhof Bütow 1945 zeigt.
Das britische Unterhaus sagte,
die Deutschen würden
"in humaner Weise transferiert".
(Quelle: Kaschubisches Museum Bütow)

 

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Deutsche Vertriebene werden 1945 in Lastwagen abtransportiert, deren Aufschrift "Poland"
noch die alliierte Herkunft zeigt.
(Quelle: Kaschubisches Museum Bütow)

 

Ein Pole (links) kontrolliertt die Vertreibung Deutscher, meist Alte, Frauen und Kinder, 
aus dem Kreis Bütow im Jahre 1945
(Quelle: Kaschubisches Museum Bütow
)


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The Expulsions
from Eastern Pomerania



Groß Tuchen:
Geschichte, Kultur, Soziologie und Genealogie eines Dorfes in Hinterpommern



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 © Heinz Radde 1998-2016
Impressum

Der Vorgang der Ausweisung
in Ostpommern

Bericht des Pfarrers Werner Lindenberg
aus Stolp i. Pom., Januar 1946

(Auszug aus: "Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße", herausgegeben vom ehemaligen Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Band I/2, Dokument Nr. 328, Weltbild Verlag GmbH, Augsburg 1993, Zwischenüberschriften wurden der leichteren Lesbarkeit wegen eingefügt )

Während in anderen Teilen des deutschen Ostens die Massenausweisung schon im Frühsommer begann, erfolgte ein systematisches allgemeines Vorgehen in Ostpommern etwa erst im Oktober 1945.
Eigenartigerweise gerade zu dem Zeitpunkt, da im britischen Unterhaus auf eine Anfrage hin die Erklärung abgegeben wurde, die unter den Deutschen Ostpommerns mit befreitem Aufatmen aufgenommen wurde, Vor dem Frühjahr würden jedenfalls keine weiteren Ausweisungen erfolgen. Außerdem, so wurde immer wieder erklärt, würden die Deutschen "in humaner Weise transferiert".

In 15 Minuten aus dem Haus getrieben
Wie es um diese menschliche Form der Umsiedlung bestellt war, habe ich dann in ungezählten Fällen mitzuerleben Gelegenheit gehabt. Es war ein gewohnter Anblick in den Straßen Stolps geworden, daß polnische Milizsoldaten deutsche Frauen oder Greise vor sich her stießen und mit Peitschenhieben und Kolbenstößen zum Bahnhof trieben. Die Tatsache, daß die Frauen oft mit vorgebundener Schürze und in Hausschuhen vorübergetrieben wurden, zeigte, wie plötzlich und völlig unvorbereitet diese Austreibungen erfolgten, die mit einer "Umsiedlung" auch von weitem keine Ähnlichkeit hatten. Gelegentlich wurde mir etwa an einem Grabe gesagt, die Kinder der Toten kämen nicht da man sie eben, als zum Friedhof zur Beerdigung der Mutter zu gehen im Begriff waren, aus der Wohnung geholt und zum Bahnhof geführt hätte. Auf dem Lande erfolgte die Ausweisung in der Form, daß größere Milizeinheiten im Morgengrauen ein Dorf umstellten und dann die Bevölkerung binnen fünf bzw. zehn oder fünfzehn Minuten aus den Betten geholt und oft nur ganz notdürftig bekleidet aus den Häusern gestoßen und in der Dorfmitte zusammengetrieben wurde. Das wenige Handgepäck, das diejenigen, die vorgesorgt hatten, beim plötzlichen Verlassen ihrer Wohnung noch greifen konnten, wurde ihnen häufig schon auf dem Wege zum Sammelplatz entrissen. Spätestens verloren sie es meistenteils auf dem Bahntransport.

Verbrannte Kirchenbücher
Ehe die Ausgewiesenen zum Bahnhof abgeführt wurden, hat man häufig allen von der Ausweisung Betroffenen einen Revers vorgelegt und die Unterschrift dann unter Gewaltandrohung, oft auch erst nach brutaler Mißhandlung, erzwungen. Ein Vordruck, den ich mir auf dem Stolper Rathaus von dein zuständigen Beamten übersetzen ließ, besagte, daß der Unterschreibende erklärte,
1. er verlasse Stolp freiwillig,
2. er stelle keinerlei Ansprüche an den polnischen Staat,
3. er werde nie wieder nach Stolp zurückkehren.

Daß der Pole vollendete Tatsachen zu schaffen sucht, zeigt auch der Umstand, daß er die Kirchenbücher und standesamtlichen Urkunden vernichtet, die das ostpommersche Gebiet eindeutig als urdeutsch ausweisen. So wurden z.B. in dem Dorf Weitenhagen, Kreis Stolp, durch den polnischen Bürgermeister die im evangelischen Pfarrhaus aufbewahrten Kirchenbücher beschlagnahmt und sogleich in einem Backofen verbrannt.

Plündernde Bahnbeamte
Noch schlimmer als alles, was vorangeht, ist dann der Bahntransport bis über die Oder. Das furchtbare Treiben beginnt bereits auf den Abgangsbahnhöfen. Mehrere Damen, unter ihnen die Witwe eines ostpreußischen Amtsgerichtsrats, die im Januar 1945 in den Kreis Stolp geflüchtet war, erzählten mir: Weil das Elend in ihrem Dorf gar zu unerträglich geworden sei, hätten sie sich entschlossen gehabt, freiwillig nach Westen abzuwandern. Mit einem Bündel, das ihre letzten Habseligkeiten enthielt, seien sie in den fahrplanmäßigen Zug in Stolp eingestiegen. Der Zug, der am Vormittag abfahren sollte, wurde am späten Nachmittag auf ein Abstellgleis gefahren. Bei Anbruch der Dunkelheit sei dann eine große Schar von polnischen Eisenbahnbeamten (!) über den Bahnkörper auf den Flüchtlingszug gestürmt, ein ohrenbetäubendes Getön von Trillerpfeifen habe eingesetzt, Pistolenschüsse wurden dicht über die Köpfe hin abgefeuert, Tränengaskörper in die Waggons geworfen, und in der allgemeinen schrecklichen Panik wurde sämtliches Gepäck von den Bahnbeamten geräubert. Die Damen erklärten, sie seien nun auch den Rest ihrer Habe los geworden. Aber sie wagten es nicht, freiwillig die Schreckensfahrt über die Oder anzutreten. Sie wollten abwarten, bis man sie hinausstieße.
Ich selbst war während des eigentlichen Transportes mit meinen Angehörigen nur geringfügigen Belästigungen ausgesetzt, da wir gegen Zahlung einer hohen Bestechungssumme (tausend Mark pro Kopf) in dem Waggon der polnischen Bahnpolizei mitfahren durften. Die übrigen Wagen wurden unterwegs von polnischen Milizsoldaten und russischer Soldateska völlig ausgeplündert. Von unserm Waggon wurden die Plünderer, die in Abteilungen von 50 bis 200 Mann laufend den Zug etwa eine Stunde lang im Wechsel begleiteten, durch die bewaffneten Bahnpolizisten abgewehrt. Auf der letzten polnischen Station Scheune wurde uns Insassen des geschützten Waggons freilich auch noch von unseren eigenen Beschützern im Verein mit polnischer Miliz der größte Teil unseres Gepäcks gestohlen. Und doch waren wir von Herzen dankbar, als wir völlig ausgeplündert die Grenze erreichten. Waren wir doch alle zusammen geblieben, wenn auch mein Vater im Russengefängnis gestorben und der Vater meines Schwagers von den Russen verschleppt und seither verschollen ist. Bis zum letzten Augenblick fürchteten wir noch, daß meine Verhaftung, die bereits angekündigt war, doch noch erfolgen würde. Außerdem gehörten wir zu den wenigen Menschen auf dem Bahnhof Scheune unter den Tausenden, die doch wenigstens ihre Mäntel und das, was sie sonst auf dem Leibe hatten, behalten hatten.


Anzüge und Schuhe ausgezogen
Unter den Ausgewiesenen befand sich auch das ganze Altersheim Stolpmünde. Diese armen 70- bis 80jährigen, meist fast hilflosen Menschen waren besonders brutal behandelt worden, gestoßen, geschlagen und nicht nur des Gepäcks, sondern auch ihrer Oberkleidung beraubt. Man hatte gerade den Alten nicht nur die Mäntel, sondern weithin auch die Anzüge und Schuhe ausgezogen.
Infolge des Hungers auf der langen Bahnfahrt, die von Danzig bis Scheune oft fünf Tage und länger dauert (die mitgeführten Lebensmittel werden meist geraubt), infolge der Mißhandlungen und der auszustehenden großen Schrecken sterben fast auf jedem Transport 20 und mehr Flüchtlinge. Dies erklärten deutsche Eisenbahner auf dem Grenzbahnhof. Dazu kommen jetzt noch die Einwirkungen der Kälte, die Ungezählten das Leben kosten dürfte. Denn trotz der Kälte wurde bisher die Ausweisung nicht gestoppt. Anfang Dezember 1945, als ich zum Verlassen meiner ostpommerschen Heimat gezwungen wurde, befanden sich in Stolp selbst schätzungsweise noch 20'000 Deutsche. Die Dörfer, die zu meinen Landgemeinden gehörten, waren etwa zur Hälfte noch dort. Die andere Hälfte war in den vorangehenden 14 Tagen in der weiter oben geschilderten Weise bereits hinausgetrieben worden. Die Ausweisung des Restes stand unmittelbar bevor. (hr)