Polnische Milizsoldaten und Offizielle überwachen
die Vertreibung Deutscher aus dem Kreis Bütow im Jahre
1945 (Quelle: Kaschubisches Museum
in Bütow)
Polnisches Propagandabild, das die Verteilung
von Brot
an Vertriebene im Bahnhof Bütow 1945 zeigt. Das britische Unterhaus sagte,
die Deutschen würden
"in humaner
Weise transferiert". (Quelle: Kaschubisches Museum Bütow)
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Deutsche Vertriebene werden 1945 in Lastwagen
abtransportiert, deren Aufschrift "Poland" noch die
alliierte Herkunft zeigt. (Quelle: Kaschubisches Museum Bütow)
Ein Pole (links) kontrolliertt die Vertreibung
Deutscher, meist Alte, Frauen und Kinder, aus dem
Kreis Bütow im Jahre 1945 (Quelle: Kaschubisches Museum Bütow)
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The Expulsions
from Eastern Pomerania
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Der Vorgang der
Ausweisung in Ostpommern
Bericht des Pfarrers Werner Lindenberg aus Stolp i. Pom.,
Januar 1946
(Auszug aus: "Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus
den Gebieten östlich der Oder-Neiße", herausgegeben vom ehemaligen
Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte,
Band I/2, Dokument Nr. 328, Weltbild Verlag GmbH, Augsburg 1993, Zwischenüberschriften
wurden der leichteren Lesbarkeit wegen eingefügt )
Während in anderen Teilen des deutschen Ostens die
Massenausweisung schon im Frühsommer begann, erfolgte ein
systematisches allgemeines Vorgehen in Ostpommern etwa erst im Oktober
1945. Eigenartigerweise gerade zu dem Zeitpunkt, da im britischen
Unterhaus auf eine Anfrage hin die Erklärung abgegeben wurde, die unter
den Deutschen Ostpommerns mit befreitem Aufatmen aufgenommen wurde, Vor
dem Frühjahr würden jedenfalls keine weiteren Ausweisungen erfolgen.
Außerdem, so wurde immer wieder erklärt, würden die Deutschen "in
humaner Weise transferiert".
In 15 Minuten aus dem Haus getrieben
Wie es um diese menschliche Form der Umsiedlung bestellt war, habe ich
dann in ungezählten Fällen mitzuerleben Gelegenheit gehabt. Es war ein
gewohnter Anblick in den Straßen Stolps geworden, daß polnische
Milizsoldaten deutsche Frauen oder Greise vor sich her stießen und mit
Peitschenhieben und Kolbenstößen zum Bahnhof trieben. Die Tatsache, daß
die Frauen oft mit vorgebundener Schürze und in Hausschuhen
vorübergetrieben wurden, zeigte, wie plötzlich und völlig unvorbereitet
diese Austreibungen erfolgten, die mit einer "Umsiedlung" auch von
weitem keine Ähnlichkeit hatten. Gelegentlich wurde mir etwa an einem
Grabe gesagt, die Kinder der Toten kämen nicht da man sie eben, als zum
Friedhof zur Beerdigung der Mutter zu gehen im Begriff waren, aus der
Wohnung geholt
und zum Bahnhof geführt hätte.
Auf dem Lande erfolgte die Ausweisung in der Form, daß größere
Milizeinheiten im Morgengrauen ein Dorf umstellten und dann die
Bevölkerung binnen fünf bzw. zehn oder fünfzehn Minuten aus den Betten
geholt und oft nur ganz notdürftig bekleidet aus den Häusern gestoßen
und in der Dorfmitte zusammengetrieben wurde. Das wenige Handgepäck,
das diejenigen, die vorgesorgt hatten, beim plötzlichen Verlassen ihrer
Wohnung noch greifen konnten, wurde ihnen häufig schon auf dem Wege zum
Sammelplatz entrissen. Spätestens verloren sie es meistenteils auf dem
Bahntransport.
Verbrannte Kirchenbücher Ehe die Ausgewiesenen zum Bahnhof abgeführt wurden, hat man häufig
allen von der Ausweisung Betroffenen einen Revers vorgelegt und die
Unterschrift dann unter Gewaltandrohung, oft auch erst nach brutaler
Mißhandlung, erzwungen. Ein Vordruck, den ich mir auf dem Stolper
Rathaus von dein zuständigen Beamten übersetzen ließ, besagte, daß der
Unterschreibende erklärte, 1. er verlasse Stolp freiwillig, 2. er stelle keinerlei Ansprüche an den polnischen Staat, 3. er werde nie wieder nach Stolp zurückkehren. Daß der Pole vollendete Tatsachen zu schaffen sucht, zeigt
auch der Umstand, daß er die Kirchenbücher und standesamtlichen
Urkunden vernichtet, die das ostpommersche Gebiet eindeutig als
urdeutsch ausweisen. So wurden z.B. in dem Dorf Weitenhagen, Kreis
Stolp, durch den polnischen Bürgermeister die im evangelischen
Pfarrhaus aufbewahrten Kirchenbücher beschlagnahmt und sogleich in
einem Backofen verbrannt.
Plündernde Bahnbeamte Noch schlimmer als alles, was vorangeht, ist dann der
Bahntransport bis über die Oder. Das furchtbare Treiben beginnt bereits
auf den Abgangsbahnhöfen. Mehrere Damen, unter ihnen die Witwe eines
ostpreußischen Amtsgerichtsrats, die im Januar 1945 in den Kreis Stolp
geflüchtet war, erzählten mir: Weil das Elend in ihrem Dorf gar zu
unerträglich geworden sei, hätten sie sich entschlossen gehabt,
freiwillig nach Westen abzuwandern. Mit einem Bündel, das ihre letzten
Habseligkeiten enthielt, seien sie in den fahrplanmäßigen Zug in Stolp
eingestiegen. Der Zug, der am Vormittag abfahren sollte, wurde am
späten Nachmittag auf ein Abstellgleis gefahren. Bei Anbruch der
Dunkelheit sei dann eine große Schar von polnischen Eisenbahnbeamten
(!) über den Bahnkörper auf den Flüchtlingszug gestürmt, ein
ohrenbetäubendes Getön von Trillerpfeifen habe eingesetzt,
Pistolenschüsse wurden dicht über die Köpfe hin abgefeuert,
Tränengaskörper in die Waggons geworfen, und in der allgemeinen
schrecklichen Panik wurde sämtliches Gepäck von den Bahnbeamten
geräubert. Die Damen erklärten, sie seien nun auch den Rest ihrer Habe
los geworden. Aber sie wagten es nicht, freiwillig die Schreckensfahrt
über die Oder anzutreten. Sie wollten abwarten, bis man sie
hinausstieße. Ich selbst war während des eigentlichen Transportes mit meinen
Angehörigen nur geringfügigen Belästigungen ausgesetzt, da wir gegen
Zahlung einer hohen Bestechungssumme (tausend Mark pro Kopf) in dem
Waggon der polnischen Bahnpolizei mitfahren durften. Die übrigen Wagen
wurden unterwegs von polnischen Milizsoldaten und russischer Soldateska
völlig ausgeplündert. Von unserm Waggon wurden die Plünderer, die in
Abteilungen von 50 bis 200 Mann laufend den Zug etwa eine Stunde lang
im Wechsel begleiteten, durch die bewaffneten Bahnpolizisten abgewehrt.
Auf der letzten polnischen Station Scheune wurde uns Insassen des
geschützten Waggons freilich auch noch von unseren eigenen Beschützern
im Verein mit polnischer Miliz der größte Teil unseres Gepäcks
gestohlen. Und doch waren wir von Herzen dankbar, als wir völlig
ausgeplündert die Grenze erreichten. Waren wir doch alle zusammen
geblieben, wenn auch mein Vater im Russengefängnis gestorben und der
Vater meines Schwagers von den Russen verschleppt und seither
verschollen ist. Bis zum letzten Augenblick fürchteten wir noch, daß
meine Verhaftung, die bereits angekündigt war, doch noch erfolgen
würde. Außerdem gehörten wir zu den wenigen Menschen auf dem Bahnhof
Scheune unter den Tausenden, die doch wenigstens ihre Mäntel und das,
was sie sonst auf dem Leibe hatten, behalten hatten.
Anzüge
und Schuhe ausgezogen Unter den Ausgewiesenen befand sich auch das ganze Altersheim
Stolpmünde. Diese armen 70- bis 80jährigen, meist fast hilflosen
Menschen waren besonders brutal behandelt worden, gestoßen, geschlagen
und nicht nur des Gepäcks, sondern auch ihrer Oberkleidung beraubt. Man
hatte gerade den Alten nicht nur die Mäntel, sondern weithin auch die
Anzüge und Schuhe ausgezogen. Infolge des Hungers auf der langen Bahnfahrt, die von Danzig
bis Scheune oft fünf Tage und länger dauert (die mitgeführten
Lebensmittel werden meist geraubt), infolge der Mißhandlungen und der
auszustehenden großen Schrecken sterben fast auf jedem Transport 20 und
mehr Flüchtlinge. Dies erklärten deutsche Eisenbahner auf dem
Grenzbahnhof. Dazu kommen jetzt noch die Einwirkungen der Kälte, die
Ungezählten das Leben kosten dürfte. Denn trotz der Kälte wurde bisher
die Ausweisung nicht gestoppt.
Anfang Dezember 1945, als ich zum Verlassen meiner ostpommerschen
Heimat gezwungen wurde, befanden sich in Stolp selbst schätzungsweise
noch 20'000 Deutsche. Die Dörfer, die zu meinen Landgemeinden gehörten,
waren etwa zur Hälfte noch dort. Die andere Hälfte war in den
vorangehenden 14 Tagen in der weiter oben geschilderten Weise bereits
hinausgetrieben worden. Die Ausweisung des Restes stand unmittelbar
bevor. (hr)
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