Beginn des Polenfeldzuges
1939
im Kreis Bütow
Auszüge aus dem Buch
von Wladyslaw Wach „na kaszubskim szancu” [Auf kaschubischer Schanze], Ludowa
Spóldzielnia Wydawnicza, Warschau 1968, 264 S.
Die
Stimmung bei Ausbruch des Krieges beruht
auf Eintragungen in der Schulchronik von Bernsdorf, die von Lehrer und
Unteroffizier Otto Papke verfasst wurd, sowie dessen Tagebuch. Beschrieben wird der Einsatz der Kompanie
unter Hauptmann von Puttkamer.
Aus dem Polnischen übersetzt von Karl H.
Radde, Dresden.
Internetbearbeitung
und Ergänzung durch Abbildungen von Heinz Radde, Zürich.
Krieg!
Am 25. August 1939 zog Otto Papke, Lehrer der deutschen Schule in
Bernsdorf, wieder Militäruniform an. Schon als siebzehnjähriger Halbwüchsiger
hatte er freiwillig am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Er hatte an der Ostfront gekämpft
und war Zeuge gewesen, wie das Zarenreich in Trümmer gegangen war und die
Revolution in Russland und Deutschland siegte. Am eigenen Leibe hatte er die
Folgen des Krieges zu spüren bekommen.
Der deutsche Aufmarschplan sah vor, dass die Grenzwacht der Heeresgruppe
Nord, darunter die 4. Kompanie unter Hauptmann v. Puttkamer aus dem Raum
Bütow gegen Gdynia vordringt.
Guderian mit dem XIX Panzerkorps der 4. Armee
griff in Richtung Tucheler Heide an, um sich mit den von Ostpreussen angreifenden
Truppen der 3. Armee zu vereinigen.
(Quelle: Worldpress, Ausschnitt)
Als Sohn eines Gärtners aus dem Kreis Stolp hatte er das Lehrerseminar
in Rummelsburg und Bütow besucht. Nach dem Krieg arbeitete er als Bergmann bei
Dortmund. Von den revolutionären Bewegungen, die Deutschland nach dem
verlorenen Weltkrieg im Jahre 1918 erschütterten, war bei ihm jedoch nichts
haften geblieben.
Als die Franzosen das Saarland besetzten, befand sich Otto Papke in den
kämpfenden Reihen Deutschlands. Mit der
Waffe in der Hand ertappt, wurde er aus dem Saarland ausgewiesen. Er kehrte mit
falschem Pass nach Pommern zurück und übernahm eine Lehrerstelle in Bernsdorf.
Da er im polnisch-deutschen Grenzgebiet arbeitete, beobachtete er
peinlich genau die Ereignisse und durchforschte Vergangenheit und Gegenwart. Er
suchte eifrig nach Zusammenstößen und Konflikten, die in früheren Zeiten
entstanden waren und - von Generation zu Generation übertragen - zunahmen
und mit der Zeit einen scharfen
Charakter erhielten. Er freute sich über alles, was die Möglichkeiten des
kaschubischen Volkes einschränkte und schäumte vor Wut, dass sich neben ihm das
polnische Leben lebhaft entwickelte. Fast täglich begegnete er dem polnischen
Lehrer und als Jüngerer zog er dann als erster die Mütze und gab damit den
Anschein einer vollkommenen Loyalität und angeblichen Freiheit, in der Leo
Wysiecki wirken konnte.
Die Besetzung der Tschechoslowakei überzeugte Otto Papke, dass mit dem
Führer nicht zu spaßen ist und dass er vor nichts zurückschreckt. Mit
chauvinistischem Enthusiasmus hielt er vor den Kindern eine feierliche Rede und
verfasste eine spezielle Urkunde, die alle Kinder zum Andenken an den für ihr
Leben "wichtigsten Tag" des Dritten Reiches unterschrieben. Die
Schulchronik, die Papke hinterließ, enthält allerdings keine weiteren Details
und Erlebnisse des Lehrers aus Anlass anderer Aggressionshandlungen um die
Jahreswende 1938/1939, die als Vereinigung der Deutschen in den Grenzen des
Dritten Reiches bezeichnet wurden. Es ist heute schwer einzuschätzen, ob Papke
immer die Brust geschwollen ist vor deutschem Stolz oder ob ihn vielleicht manchmal
nicht auch Angst befiel vor den Zielen, die der Führer verfolgte.
Sorgfältig und tiefgründig beobachtete Otto Papke die zunehmende
Spannung in den politischen Verhältnissen zwischen Polen und Deutschland. Er
betrachtet alle Kaschubisch sprechenden Einwohner als gefährliche Feinde. Er
sah ihre Bedrücktheit, die durch die Zunahme der politischen Spannung
hervorgerufenen wurde.
Jedoch dachte er nicht darüber nach, welche
Rolle er selbst bei den Vorfällen spielte, die mit dem Angriff auf die Tschechoslowakei
begannen. Erst im Jahr nach dem "wichtigsten Tag" schrieb er unter
dem Datum vom 25. August 1939:
Es ist ein schöner sonniger Tag. Am
politischen Himmel atmosphärische Störungen. Gewitterluft hängt über dem Land
und über den Menschen. In der Erinnerung bleiben das Jahr 1914 und die damalige
Atmosphäre, die der heutigen so sehr ähnlich ist. Es sind nur keine ängstlichen
Fragen und Befürchtungen zur Zukunft zu hören. Es herrschen ein
uneingeschränkter Glaube an den Führer und grenzenloses Vertrauen zu ihm. Ich
bewundere die Geduld angesichts der ständigen und zunehmenden Agitation der
polnischen Bestie.
Immer neue Nachrichten über Grenzvorfälle und
Beschießungen unserer Flugzeuge über der Ostsee und über die schlechte
Behandlung der Volksdeutschen in Polen kommen zu uns. Währenddessen ist unseren
Polen kein Härchen gekrümmt worden. Es ist ihnen weiterhin gestattet, ihre
Kinder in eine polnische Schule zu schicken und sich der polnisch-kaschubischen
Sprache zu bedienen.
Das
Linienschiff "Schleswig Holstein" eröffnete mit seinen Schüssen
auf die Westerplatte den 2. Weltkrieg, hier bei der Beschiessung von Gdynia
am 13.9.1939.
(Quelle: gemeinfrei aus Apoloniusz
Zawilski "Bitwy Polskiego Wrzesnia", Warschau
1972)
Die Arbeit am Tagebuch und seine "großdeutschen" Betrachtungen
wurden vom Gemeindevorsteher unterbrochen, der zaghaft ins Zimmer trat. Er
brachte den Gestellungsbefehl. Eine Stunde später fuhr Lehrer Otto Papke mit
dem Fahrrad nach Kathkow und wurde in die Kompanie des Hauptmanns von Puttkamer
eingereiht. Sein Erscheinen in Militäruniform mit dem Rucksack auf dem Fahrrad
rief bei allen bisher auf dem Felde arbeitenden Bauern Besorgnis hervor. Otto
Papke grüßte sie fröhlich, aber seine Stimmung übertrug sich nicht auf die Bauern.
Mit Besorgnis schauten sie ihm nach, bis er hinter dem nächsten Hügel
verschwand. Allen drängte sich die Frage auf: Geht jetzt der Krieg los?
Am selben Nachmittag kleidete Otto Papke die in seine Kompanie
eingereihten Reservisten in Militäruniform ein. Hinter Großtuchen nahm er
Lebensmittel und Pferdefutter in Empfang und in der Nacht wurde er mit der ganzen
Kompanie in Eisenbahnwaggons verladen. Papke kannte die Umgebung ausgezeichnet.
Als sie bei Bütow vorbeifuhren, war ihm klar, dass der Transport in die Nähe
der polnischen Grenze geht. Die Bewohner der Dörfer und Siedlungen, an denen
sie vorbei fuhren, schliefen fest. Durch eine kleine Ritze im Güterwagen
schaute Papke auf die Siedlungen und einzelnen Gehöfte, an denen sie vorbei
fuhren. Der Zug fuhr an Bernsdorf vorbei, das im Schlaf versunken war und im
Dunkeln lag. Ihm wurde weh ums Herz, als er an die Jahre dachte, die er hier
verbracht hatte. Das war vielleicht der einzige Augenblick, in dem er sich mit
Schrecken fragte, ob und wann er hier nochmals zurückkehren würde. Der Zug
hielt in Stüdnitz. Es kam der Befehl zum Aussteigen. Wieder fieberhaftes
Treiben: eiliger, geordneter Abmarsch und noch ehe es Tag wurde, war die
Kompanie des Hauptmann von Puttkamer in den Grenzwäldern untergetaucht.
Krafteverhältnis |
Deutschland |
Polen |
Artillerie |
4300 (hochmodern) |
1350 (veraltet) |
Panzer |
3200 |
600 |
Flugzeuge |
1929 |
463 |
Soldaten |
1'500'000 |
1'000'000 |
Quelle: Janusz Piekalkiewicz "Polenfeldzug.
Hitler und Stalin zerschlagen die polnische Republik." Die Angaben in "Das
große
Lexikon des Deutschen Reiches", Weltbildverlag, Augsburg 1993, weichen
z.T. erheblich davon ab. Demnach waren die Verhältnisse bei Panzern 2500:1132
und bei Flugzeugen 1107:745.
Verluste im Polenfeldzug |
Deutschland |
Polen |
Sowjetunion |
Tote |
10'572 |
70'000 |
737 |
Vermisste |
3'409 |
- |
- |
Verwundete |
30'322 |
133'000 |
1'859 |
Gefangene |
- |
700'000 (dtsch.) |
- |
Quelle: "Das großes
Lexikon des Deutschen Reiches", Weltbildverlag, Augsburg 1993
Am selben Tag erlebte Papke den ersten Sieg. Seine ihm untergebenen
Soldaten hatten zwei Personen festgenommen, die verdächtig erschienen. Ihm
selbst kam die Ehre zuteil, die Festgenommen zur Gestapo nach Bütow
abzutransportieren. Er sah diese Tatsache als Vorzeichen eines guten Dienstes
und des Sieges an. Es kehrte seine frühere Hasswelle auf alles zurück, was von
seinen deutschen Überzeugungen abwich. Er benutze die Gelegenheit und besuchte
auf dem Rückweg von Bütow seine Familie.
Wie zum Hohn traf er wieder den Lehrer
der polnischen Schule und konnte sich nicht enthalten, in sein Tagebuch einige
bösartige Bemerkungen an dessen Adresse gerichtet aufzunehmen:
"Wenn
du wüsstest, wo ich mit meiner Kompanie stehe, würdest du deinen Unterricht nicht mehr so ruhig durchführen. Und die
Kinder hätten schon lange aufgehört, nicht nur polnisch zu sprechen, sondern sogar
polnisch zu denken".
Wie zur Bestätigung seiner Gedanken verbreitete sich Unruhe über die
ganze Gegend. Alle warteten mit Spannung auf die weiteren Ereignisse. Die Kaschuben
wohnten in den Waldgebieten. Sie kannten hier jeden kleinen Weg und jeden Pfad.
Sie wussten, dass das Waldgebüsch Drohung und Gefahr verbirgt, die sich seit
einigen Monaten in der Umgebung zusammenballte, seit der berühmten Rede von
Hitler Ende April und der Antwort von Außenminister Beck vom 5. Mai 1939 in
Warschau. Die Unruhe steigerte sich von Woche zu Woche. Sie wurde von den
deutschen Flüchtlingen aus Polen verbreitet, die phantastische Nachrichten über
die wachsende polnische Gefahr und über die Misshandlung der deutschen
Bevölkerung in Polen in Umlauf brachten. Dann vervielfachte sich die Unruhe,
als vom 13. August an hier und dort ganze kaschubische Familien nach Polen
flüchteten und ihr Hab und Gut dem Schicksal überließen. Das führte dazu, dass eine größere Anzahl von
Gestapoleuten in die Umgebung kam, die die polnischen Familien, die wegen ihrer
Tätigkeit und Aktivitäten in polnischen Organisationen bekannt waren,
sorgfältig überwachten. Die zunehmende Unsicherheit und das Gefühl der
drohenden Gefahr wurden noch durch einige Anweisungen zur Deportation in das
Innere Deutschlands verstärkt. Aber tatsächlich hing erst Ende August das
Gespenst des Krieges über der Gegend. Immer häufiger kam es jetzt zu Drohungen
an die Adresse der kaschubischen Bevölkerung. Es ließen sich Stimmen über
Konzentrationslager, Gerichtsprozesse und hohe Strafen für Verrat am deutschen
Volk vernehmen. Die Vorsichtigeren und weniger Engagierten begannen, sich langsam
auf neutrale Positionen zurückzuziehen. Die Feigeren manifestierten ihre
Loyalität und lenkten somit keine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es waren nicht viele. Die große Masse blieb am
Ort und erwartete mit Würde die kommenden Ereignisse.
Aus dem Tagebuch des Otto Papke
Es ist der erste September 1939. Der Hauptmann reißt uns zu einer
Nachtübung heraus. Er verbietet streng zu rauchen und Licht zu machen. Die
Gasmasken sind zum Anlegen vorbereitet, aber so, dass sie beim Marsch nicht
stören und keine Geräusche machen.
Die Kompanie marschiert zum Sammelpunkt in
Richtung Hopfenkrug. Wir ahnen etwas Ernstes, obwohl niemand uns etwas
Konkretes gesagt hat. Den Weg kenne ich gut. Wir kommen zum Beobachtungsturm
der Zöllner. Von hier aus gibt es keine anderen Wege: nur nach vorn oder
zurück. Die Spitzengruppe hält. Es kommt der Befehl an die Kompanie und die
Wachdienste, dass ihre Kommandeure sich zur Lagebesprechung in der Försterei
melden sollen. Niemals werde ich diese Stunde vergessen in dem kleinen Zimmer
des Försters, das mit einer Petroleumlampe beleuchtet wird. Wir nehmen um den
runden Tisch Platz. Ein Major leitet die Besprechung feierlich ein:
- Meine Herren, die Lage ist ernst. Um 4 Uhr
45 Minuten überschreiten wir die Grenze. Ich weiß, dass jeder von uns seine
Pflicht erfüllen wird. Es lebe der Führer! Es lebe unsere Armee! Es lebe unser
Großdeutschland!
Wir machen uns mit der Karte bekannt. Jede Einzelheit ist auf der Karte
verzeichnet und wird im Einzelnen besprochen. Die Kampfaufgaben und das
Operationsziel für den kommenden Tag sind genau festgelegt. Ich hole den
Unteroffizier Weber aus Hygendorf, der zum Führer der Spitzengruppe bestimmt
ist. Nach Erhalt des Befehls erbleicht Weber ein wenig, stark bewegt von der
Auszeichnung und der Ehre. Seine Augen blitzen vor Freude und sind auf den
Kompaniechef gerichtet.
Es kommt der Befehl: Laden und sichern!
Jeder
weiß, dass es jetzt tatsächlich losgeht.
- Spitzengruppe
vortreten!
Die
Uhr zeigt 4 Uhr 40 Minuten. Bis zur Grenze sind es kaum einige Hundert Meter.
Ich
werde zu Hauptmann Puttkamer gerufen.
Genau um 4 Uhr
45 Minuten, wie der Führer es befohlen hat, überschreiten wir die Grenze.
Uns bemächtigt ein erhebendes Gefühl. Langsam beginnt es zu tagen. Wir
gehen quer durch den Wald. Plötzlich von links eine Detonation. Das ist unser
Nachbarbataillon. Und jetzt wieder von der rechten Seite Feuer aus
Maschinengewehren.
Zwei Gruppen unseres Bataillons säubern das
kleine Dorf [Woysk,
Anmerkung d. Übersetzers], das auf unserer Marschroute liegt ...
Es ging los
Schon am späten Abend des 31. August erfuhr Alfons [Styp-Rekowski] von
dem geplanten Kriegsausbruch. In Platenheim und den umliegenden Dörfern siedete
es. Die ganze Nacht waren in den unbeleuchteten Bauernstuben Gespräche über den
beginnenden Krieg im Gang. Von Zeit zu Zeit waren die Söhne des Ortsvorstehers
zu sehen, die an die Fenster einiger Katen klopften. Sie trugen die
Gestellungsbefehle aus. Um 3 Uhr morgens kam Leon Styp-Rekowski..., um sich zu
verabschieden. Er zog in den beginnenden Krieg. Kann man in solcher Nacht
schlafen? Am Morgen fuhr oder ging fast aus jedem Haus jemand in die Kirche
nach Damsdorf, umso mehr, als es der erste Freitag im Monat war, den die
frommen kaschubischen Familien als Kirchenfeiertag betrachteten. ...
Der Gottesdienst war an diesem Tag kurz, denn Pfarrer Szynkowski hatte
schon vom Ausbruch des Krieges erfahren und beendete den Gottesdienst eiligst,
damit die Leute schnell in ihre Häuser zurückkehren konnten, da die einen die
Einberufung, andere den direkten Einsatz zum Frontdienst erwarteten und noch
andere sich vielleicht von ihren Angehörigen verabschieden müssen....
Grenzwacht-Kompanie 4/42
nach
dem Polenfeldzug, aufgenommen im November 1939 auf dem Sportplatz in
Bütow. Darauf sind u.a. die Grosstuchner Paul Radde, Albert Basowski, Kurt
Nitz
und Fritz Dabels zu
sehen. In der Mitte vorn der Kompaniechef Hauptmann von Puttkamer, daneben sein
Vertreter Oberleutnant Lüdtke und rechts und links die Unteroffiziere, darunter
auch Otto Papke und Weber. (Quelle: Privatarchiv Radde)
Groß Tuchen:
Geschichte, Kultur,
Soziologie und Genealogie eines Dorfes in Hinterpommern
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