Abschied - Neuanfang - Familie J. Malottki
Unser Auszug aus Groß Tuchen erfolgte am 2. März 1945. "Unser" bedeutete: Meine Mutter mit sechs ihrer Kinder (Hilde war gerade einen Tag vorher nach abenteuerlicher Reise von Garz an der Oder, wo sie dienstverpflichtet war, angekommen); meine 79-jährige Großmutter mit gebrochenem Arm; meine Tante mit vier Kindern, darunter zwei Kleinkindern; eine Cousine, die zusammen mit der Familie meiner Tante aus Dortmund evakuiert worden war, und eine Lettin, die bei uns als Flüchtling seit einigen Monaten wohnte.
2. 3. 1945 - Ein Meldefahrer der Armee, der vor unserem Haus hielt,
war erstaunt, noch Einwohner anzutreffen, und sagte, daß der Russe 10
km entfernt vor Glisno stünde. Nach Anfrage beim Ortsgruppenleiter
erklärte der, daß es keine Möglichkeit gäbe, mit dem Zug wegzukommen;
jeder müsse selber sehen, wie er flüchten könnte. Einige hatten schon
in der Nacht davor das Dorf verlassen.
Am späten Abend des 2. März gelang es uns, mit Soldatenautos bis
nach Bütow mitgenommen zu werden. Dort "übernachteten" wir im Vorraum
des Kinos, waren sehr früh morgens wieder auf den Beinen und wurden
wieder mit irgendwelchen Soldatenautos/ Armeewagen bis nahe Wundichow
gefahren. Nach einer Übernachtung dort ging es weiter nach Stolp,
mehrere Tage später von dort Richtung Gotenhafen, wo wir am 9. März
eintrafen.
Die nächsten Tage verbrachten wir in einem mit tausend Flüchtlingen
angefülltem Kino und warteten auf Schiffskarten, die uns Anton (?)
Bistram besorgen wollte, den meine Mutter dort ausfindig gemacht hatte.
Als meine Mutter einige Tage später wieder anrief, sagte er, er hätte
seine Schwägerin Ulla mit Schiffskarten ins Lager geschickt. Sie wurde
aber abgewiesen, weil wir "nicht mehr da seien." Es waren Karten für
die "Gustloff".
Am 22. März konnten wir dann nach einigen Schwierigkeiten mit dem
Frachter "Bukarest" in See stechen, sahen zum Abschied noch die
Bombardierung Danzigs und einen mit vielen "Christbäumen" geschmückten
Himmel.
Das Schiff fuhr bis Swinemünde; dort kamen wir in kleine Kutter und
wurden nach Ueckermünde gebracht, wo wir bis zum 2. April in einer
völlig verlausten Schule untergebracht waren. Dort starb meine jüngste
Cousine, und ihre Schwester entkam knapp dem Tod.
Mit dem Zug wurden wir alle nach Holstein gebracht, das völlig von
Flüchtlingen überfüllt war. Allein meine Mutter und wir sechs
Geschwister waren in drei verschiedenen Familien untergebracht.
Als im Mai dann die Kapitulation kam, mußte jeder eine Arbeit
nachweisen können, um Lebensmittelmarken zu bekommen. Die einzige
Möglichkeit war, beim Bauern zu arbeiten.
Im Herbst des Jahres 1945 hatte es sich so weit normalisiert, daß
Hilde Arbeit in einem Schneiderbetrieb in Bad Bramstedt fand, Anni bald
heiratete und ich wieder zur Schule ging, was bei den drei Jüngsten
sowieso zur Normalität gehörte.
Als dann 1946 Rudi aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zu uns
stieß, und später mein Vater aus Peenemünde kam, wo er noch für die
Russen hatte arbeiten müssen, waren wir wieder eine ganze Familie.
gez. Wanda Behnke geb. v. Malottki