Notgeld in Pommern 1917-1923
Nicht alles, was glänzt, war Geld
von
Heinz Radde, Zürich
radde@epost.ch
erschienen
in Sedina-Archiv 3/2003
Die
heute noch verfügbaren enormen Mengen "kassenfrischer"
Notgeld-Scheine aus Pommern um 1921 lassen Fragen aufkommen. Oft lag und liegt deren
Zweck nur darin, Sammlern Geld aus der Tasche zu ziehen. Aber es gibt
Unterschiede.
Als Notgeld bezeichnet man Ersatzzahlungsmittel, die den Mangel von
staatlichen, hoheitlichen Münzen, Banknoten sowie Geldscheinen beheben sollen.
Es sind ausdrücklich keine Banknoten. Hier ist aus diesem sehr komplexen Gebiet
nur die Rede von Scheinen aus der Zeit am Ende des 1. Weltkrieges bis zur
Hyperinflation 1923.
Habt Ihr euch auch schon einmal gefragt, warum nach all' den dramatischen
Verlusten in Pommern um 1945 noch heute massenweise druckfrische
Notgeld-Scheine aus Pommern um 1921 angeboten werden? Die ständig zu hörende
Erklärung, die Reichsbank wäre mit Druck und Belieferung von Banknoten nicht
mehr nachgekommen, ist ja wohl kaum plausibel, wenn das privaten Druckereien
mit unzähligen lokalen Varianten von sogenannten Notgeldscheinen offenbar
spielend möglich war. Oder eben nicht, denn die meisten dieser Notgeldscheine
gelangten nicht einmal in die aufgedruckten Orte und wurden schon gar nie Zahlungsmittel, sondern
sie wurden und werden heute noch nur an Sammler verkauft.
Die
wirkliche Erklärung ist also, dass diese Scheine in ungeheuren Mengen von
deutschen Druckereien sozusagen als "Trittbrettfahrer" der während
des 1. Weltkrieges von einigen Kommunen herausgegebenen Notmünzen oder
Notmünz-Scheine produziert wurden. Diese Notmünzen wurden notwendig, weil das
Münzgeld aus Kupfer und Messing als Material für Munition gebraucht wurde. Das
Gold- und Silbergeld war den Leuten sowieso schon aus dem Sparstrumpf gezogen
worden ("Gold gab ich für Eisen").
Legenden sterben
nie
Wider
besseren Wissens sind verklärende Legenden sowohl in der Genealogie (z.B. der angebliche Verkauf des Adel-Titels
durch verarmte Vorfahren, die Auswanderung nach Amerika wegen religiöser oder
politischer Verfolgung usw.) als auch in
verwandten Gebieten äusserst populär und werden gern und ungeprüft übernommen.
So berichtet z.B. der Museumsverein von Forst in der Lausitz auf seiner Website
"... dass das neue Notgeld zwar künstlerisch sehr schön gestaltet war,
aber leider auf Grund der Regierungsverordnung nicht mehr in den Verkehr
gebracht werden durfte..." und deshalb "große Bestände dieser
Scheine noch nach 1960 original verpackt auf einem Lagerboden entdeckt wurden."
Manchem Lokalpatrioten mögen solche Geschichten gefallen. Gleichwohl fehlen
hier wie bei den o.g. Familienlegenden in aller Regel die Nachweise.
In Wirklichkeit war das Notgeld oft nur ein
Trick, um Sammlern das Geld aus der
Tasche zu ziehen. Letzteres sei für die
1921 in Cammin herausgegebenen Scheine authentisch belegt, sagt Prof .
Wallschläger, Cammin-Spezialist aus Potsdam. Sie waren nie offizielles
Zahlungsmittel, sondern brachten dem Stadtsäckel in Notzeiten 25.000 Mark ein.
Hans Joachim Kürtz, Notgeld-Kenner und
-Sammler, meint zu dem Thema:
"...die sogenannten Serienscheine hatte man in der Tat etwa von 1920 an - wie
bei Cammin - meist gar nicht mehr als
Ersatz-Zahlungsmittel für den Warenverkehr gedruckt. Ihre Herausgeber ließen
sie in unvorstellbar großer Stückzahl schon gezielt als "Ware"
produzieren - nämlich für den Verkauf an Sammler. Schlimmer noch: Dubiose
Notgeldhändler kauften sich für "einen Appel und ein Ei" von
Dutzenden von kleinen und kleinsten Gemeinden die Genehmigung, in deren Namen
Scheine zu drucken, von denen dann kaum ein einziger den angeblichen Ort seines
Gültigkeitsbereiches jemals gesehen hat
(z.B. die Hallig Oland, die nur 83 Seelen zählte und wo man beim
Einkauf ohnehin anschreiben ließ,
Wechselgeld war also kaum nötig). Die Notmünzen dagegen wurden - mit Ausnahme
von Meißener Porzellan-Münzen - allesamt
wirklich nur geprägt, um den Kleingeldmangel zu beheben. Orte, die damals keine
eigenen Ersatzmünzen (z. B. aus Aluminium) prägen ließen, behalfen sich mit dem
amtlich geduldeten Druck von eigenen "echten" Ersatzscheinen - in der
Regel nur jeweils einen einzigen Typ von10- und 50-Pfg.-Scheinen. Diese sind
dann auch wie die Notmünzen wirklich im Umlauf
gewesen. Sie mußten von den Städten etc. nach einer bestimmten
Frist wieder gegen offizielle
Zahlungsmittel eingelöst werden. Meist haben Notgeld-Händler dann die
zurückgegebenen und in der Regel auch entwerteten Scheine aufgekauft."
Wer zählt die Scheine, nennt die Namen?
Zwischen 1917 und 1923 wurden für Pommern
tatsächliche und angebliche Geld-Ersatzscheine unter Bezeichnungen wie
"Ersatzgeld, Ersatzwertzeichen, Gutschein, Kriegsnotgeld, Lagergeld,
Notgeld, Platzanweisung, Scheck, Schein" gedruckt.
Die für Pommern bis 1919 herausgegebenen
Notgeldscheine dienten wahrscheinlich alle tatsächlich als Geldersatz und waren
wirklich im Umlauf. Man erkennt das auch daran, dass die relativ wenigen
vorhandenen Exemplare meist gebraucht sind. Außerdem sind sie oft durch Stempel
und Unterschrift entwertet (z.B.10 Mark Greifswald). Auch die Inflations-Notgeldscheine von 1923
dürften im Gebrauch gewesen sein (z.B.10 Milliarden Mark Bublitz ).
Die Hunderte Typen besonders aus der Zeit
1921/22 allerdings haben meist wenig mit Zahlungsmitteln zu tun.
Druckereien z.B. aus Augsburg, Breslau,
Glauchau, Glogau, Görlitz, Halberstadt, Leipzig, München, aber auch pommersche
aus Demmin, Kolberg, Labes, Pyritz, Rügenwalde, Stettin überschwemmten den
Markt mit z.T. als Zahlungsmittel völlig unlogischem "Notgeld".
Als Beispiel sei die Druckerei Flemming
Wiskott AG aus Glogau/Oder genannt. Deren Produkte sind stets als
"Scheck"
bedruckt. Außerdem
ist das Fehlen eines Datums typisch. Immerhin brachte Flemming es fertig, für
Belgard und Stolp gleich je drei unterschiedliche Serien mit 5
"Werten"
von 25 Pfennig bis 2 Mark zu machen. Ferner wurden Bütow,
Naugard, Swinemünde und wahrscheinlich noch einige mehr von Flemming
beglückt.
Von all' diesen existieren meines Wissens
nach keine wirklich gebrauchten Exemplare. Es werden jedoch heute noch große
Mengen in bester Erhaltung angeboten (z.B. in eBay).
Kitschig aber interessant
Damit soll nicht
gesagt werden, dass diese pommerschen Scheine um 1921 keinen Sammlerwert haben.
Der materielle Wert ist sicher nicht hoch. Gleichwohl kann man Freude an den
Scheinen haben. Viele sind schnell und lieblos gemacht, und doch tragen einige
recht originelle Aufschriften (oft in Platt) und interessante historische
Bilder. Fast alle sind daran zu erkennen, dass sie recht bunt sind und mit
einfachen, eher kitschigen Abbildungen und oft langen Sprüchen
"überladen"
sind. Ferner
wurden oft gleichzeitig für denselben Wert mehrere Motive gedruckt.
Die
"Notscheine"
von Freienwalde, Kr. Saatzig, z.B. wurden gleich mit 4 verschiedenen
50-Pfennig-Scheinen
herausgegeben. Einer
zeigt eine historische Szene mit Galgen und dem Text "1518. Hinrichtung zweier
"Kirchenvorsteher", die den Ablasskrämern den Ablasskasten in der
Kirche erbrachen und beraubt hatten." Dieses Motiv offenbart eigentlich
auch ein geringes historisches Feingefühl der Notgeld-Drucker für das
urprotestantische Pommern, dass ja durch Bugenhagen ein eifrigen Anhänger Luthers wurde. Und
Luther hatte eben genau wegen der Ablehnung des Ablasshandels die Reformation
ausgelöst.
Für Stolp z..B.
werden populäre Namen wie der Blüchers und mit ihm im Zusammenhang stehende
Szenen gleich in drei Serien ausgebeutet.
Die Scheine von
Bütow (siehe Abb.) gehören da noch zu den besseren nach Gestaltung und
Vielfalt.
Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt,
dass es in der Inflation noch eine andere Art von Notgeld in Pommern gab, die
nicht in Mark und Pfennig, sondern in Kartoffel- oder Roggen-Währung
ausgezeichnet wurde. Das war wohl sehr sinnvoll in einer Zeit, in der der Wert
eines Sackes Kartoffeln oder Roggen sehr viel reeller als der virtuelle von
"richtigem"
Geld war. So wie es wohl immer war und uns nicht zuletzt
die Börsengänge unserer Zeit wieder gelehrt haben. (hr)
s.a. Bütow Notgeld
Bild 1:
Dieser Notgeld-Schein über 10 Mark der Stadt
Greifswald von 1918 wurde 1920 mit Stempel und handschriftlich entwertet.
Bild 2:
Ein Gutschein von 1923 aus Bublitz über 10
Milliarden Mark, der offenbar in Gebrauch war.
Bild 3:
Diese " Schecks" über 1 und 2
Mark aus einer Serie für Bütow um 1921 (s.a.: Notgeld Bütow) sind sehr vage mit " zahle aus
meinem Guthaben" bezeichnet und haben Platz für Datums-Eintragungen. Auf
dem Schein über 2 Mark steht der schwulstige Spruch:
" Blaues Ländchen man unser Land
Seit alter Zeit schon hat genannt.
Blau der Duft, der die Berge umschwebt.
Blau die Treue, die in Pommern lebt.
Wie diese, einst bewährt in mancher Schlacht,
So hält sie jetzt an neuer Grenze
Wacht."
(Solche Scheine wurden von
Flemming&
Wiskott in Glogau/Oder gedruckt.
Groß Tuchen:
Geschichte, Kultur,
Soziologie und Genealogie eines Dorfes in Hinterpommern
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