Edelgard Tebbenhoff geb. Bansemar Im Plaggen 449565 Bramsche Tel. 05465-1740

Flucht und Vertreibung

Ich weiß es noch als wäre es gestern gewesen. Es war der zweite Weihnachtstag 1944.

Opa Meier war bei Deubles gewesen. Er sagte: "Wir müssen flüchten, der Russe kommt." Im ersten Moment konnte keiner ein Wort sagen, dann wurde hin- und her überlegt. Als erstes wurden die Planwagen in der Scheune fertiggemacht. Es wurde aus- und eingepackt, denn es sollte soviel wie möglich mitgenommen werden. Im Schweinestall haben wir das gute Geschirr und die wertvollen Sachen vergraben. Tag für Tag Bombenangriffe, jedoch bei Dunkelheit war Ruhe. Das Vieh wurde losgebunden, genügend Futter vorgeschmissen, und alle Stalltüren wurden aufgemacht. Nun hieß es, Abschied nehmen. Am 21. 2. 1945 zog der große Treck los.*) Kleine Kinder, alte Leute durften auf dem Wagen mitfahren, alle anderen gingen zu Fuß. Die Pferde hatten schon genug zu ziehen. Es war ein sehr strenger Winter. An drei Stellen wurde Halt gemacht, um Pferden und Menschen etwas Ruhe zu gönnen. Jedoch hatte uns der Russe 20 km vor Neustadt eingeholt. Wir sollten auf ein Schiff verladen werden. Auf einem Gutshof haben wir 2 - 3 Tage im Heu und Stroh verbracht; die Frauen mußten sich vor den russischen Soldaten verstecken.

Auf Umwegen sind wir wieder nach Hause gefahren. Unterwegs wurden uns die besten Pferde von den Russen abgenommen. Weiter auf der Flucht. In irgendeinem Dorf mußten die Männer eine Grube auswerfen, denn die Russen sagten uns, wir würden alle erschossen. Schon vorher lagen am Wegesrand tote Tiere, Soldaten, kleine Kinder, Männer und Frauen. Es war furchtbar. Meine Mutter wollten die Russen verschleppen, Oma konnte sie aber zurückreißen. Weiter ging es. Beim Quartier auf einem Bauernhof fanden wir noch Vorräte; die Russen waren hier noch nicht.

Über Ostern hatten wir alle Typhus; Opa Meier wäre fast daran gestorben. Beim letzten Aufenthalt in Neufeld mußten sich die Frauen wiederum verstecken. Mutter wurde von den Russen vergewaltigt. Zwischendurch war Opa Meier nach Groß Tuchen gegangen, um nachzusehen, ob wir zurück konnten, nach Hause. Mit einer Kuh, einem Schwein und Pferd und Wagen ging es nach Hause.

Vom Frühjahr bis November 1945 bei den Polen. Opa Meier wurde in Bütow eingesperrt. Auf Meiers Gut wirtschaftete ein Pole. Im November von den Polen rausgeworfen, auf LKWs, in überfüllten Zügen und offenen Waggons nach West-Berlin gefahren. Im Zug wurden Frauen und Kindern Rucksäcke und Mäntel weggenommen und aus dem Zug geworden. Uns blieb nur eine Decke zum Überhängen.

Von Weihnachten 1945 bis Januar 1946 in Thale (Harz) verbracht. Anschließend ins Lager Thüringen, von dort nach Friedland. Von April bis Mai in Nortrup. Mutter war sehr krank. Im Juni 1947 kam Vater aus Gefangenschaft. Im März 1948 verstarb Mutter. Vater heiratete 1950 erneut. Bin gleich aus dem Haus gegangen; war in Stellung. 1955 geheiratet; gebaut; drei Kinder.

gez. Edelgard Tebbenhoff geb. Bansemar

*) Der eigentliche Treck der Großtuchener zog in den späten Abendstunden des 2. März 1945 los.