Kolbergs

Brigitte Vollert geb. Kolberg Graeserstraße 7 52457 Aldenhoven-Siersdorf Tel. 02464-7305

Erinnerungen von der Flucht und Vertreibung aus Groß-Tuchen und der Neubeginn

Wir wußten, daß wir unsere Heimat verlassen mußten.

Am 02. März 1945 sollte Groß-Tuchen von Zivilisten geräumt sein. Mein Vater Otto Kolberg war Posthalter in Groß-Tuchen. Er hatte die Order vom Postamt Bütow, die Post nicht eher zu verlassen, bis sie vom Militär übernommen wurde, weil alle Frontgespräche über unser Wähleramt liefen. Viele Groß-Tuchner waren schon fort. Gegen Abend des 2. März wurde dann alles ans Militär übergeben. Geld und die letzte Post wurden im Postsack versiegelt und mußten im nächsten Postamt übergeben werden.

Unser Wagen war gepackt. Das Pferd, das mein Vater für die Flucht gekauft hatte, zog uns aber nicht mal vom Hof. Es war ein Reitpferd und ging nicht in der Gabel. Die Soldaten halfen uns, den Wagen vom Hof zu schieben bis zum Hof von Wilhelm Gutzmer. Es war sehr kalt, der Schnee knirschte. Mutti und wir beiden Kinder konnten in das Haus von Wilhelm Gutzmer gehen, das mit Soldaten belegt war, während Vater nach Wiesenthal zu Familie Jantz ritt. Hier waren auch die Großeltern Hermann Kolberg, weil sie nicht flüchten wollten. Familie Jantz hatte zwei russische Mädchen, die sie wie eigene Töchter behandelten und die für immer bei ihnen bleiben wollten. Diese beiden Mädchen wollten alle schützen. Als aber die ersten Russen kamen, wurden die Mädchen sofort mitgenommen, und die alten Leute hatten sehr zu leiden. (Ein Bericht von Herrn Biastoch liegt vor).

Von Wiesenthal brachte Vater ein anderes Pferd mit, und wir fuhren noch in der Nacht zu Familie Jantz. Die Front war schon sehr nahe. Wir sahen nachts die Geschosse und hörten die Einschläge. Hier trafen wir auch Familie Möller (Fleischerei). Wir schlossen uns zusammen und brachen in aller Frühe auf. Da wir wußten, daß es nicht mehr möglich war, zur Ostsee zu kommen, um überzusetzen, fuhren wir in den Stolper Kreis nach Klößen, wo Möllers Verwandte hatten.

Die Straßen waren verstopft mit Flüchtlingen. Immer wieder kamen Tiefflieger und beschossen die Trecks. Es waren schon viele Flüchtlinge hier in Klößen, die nicht mehr weiterkamen. Die Verwandten von Möllers, auch eine Familie Kolberg, haben uns und die anderen Flüchtlinge verpflegt und gut versorgt. Hier wurden wir von den Russen eingeholt. Die ersten Rotarmisten waren Mongolen; sie suchten deutsche Soldaten. Als die nachfolgenden kamen, war es schrecklich. Die Pferde wurden zuerst weggenommen. Wir hatten über unseren Wagen einen Teppich gespannt. Den schlitzten sie kurz und klein, durchsuchten alles und nahmen mit, was sie tragen konnten. Uhren, Ringe, Eheringe......, alles wurde von den Fingern gezogen. Frauen und junge Mädchen erlebten furchtbare Grausamkeiten. Das möchte ich nicht weiter beschreiben.

Die Männer wurden aussortiert zum Viehtreiben. Viele kamen nicht mehr wieder. Da Vater Prothesenträger war und seine Ausmusterungspapiere hatte, ließen sie ihn meistens laufen. Einmal kam auch er nicht zurück. Wir machten uns große Sorgen und gingen in die Richtung, die der Viehtrieb genommen hatte. Wir fanden ihn in einer Kartoffelkuhle (Krubkuhle auf pommersches Platt). Sie war von außen so verschlossen, daß er sich nicht befreien konnte. Durch sein Rufen machte er sich bemerkbar.

Bei einem russischen Trupp war ein Soldat, der gut Deutsch sprach. Er sagte uns: "Der Krieg ist aus, geht in euer Dorf, jetzt beginnen die Säuberungen." Es gelang uns, zwei fußlahme, kranke Ochsen zu bekommen. Ein Wagen wurde zurechtgemacht, das noch vorhandene Gepäck, alte Leute und kleine Kinder aufgeladen. So zogen wir gemeinsam mit Möllers los. Da wir die Straßen wegen der Russen nicht befahren konnten, ging es durch Wälder und über Landwege. Übernachtet haben wir in Wäldern und einmal auf einem demolierten, ausgeraubten Bauernhof. Es ging sehr langsam voran. Mit den lahmen Ochsen kamen wir aber bis Tangen.

Am 19. März gingen Mutter, ich, Herr Möller und Alfred Möller von Tangen nach Groß-Tuchen. Es herrschte ein reges Treiben in Groß-Tuchen. Überall waren Polen mit ihren kleinen Panjewagen und luden auf, was raufging. Bei Deuble, Genee und (ich glaube) Schiefel-bein trugen sie Säcke voll Mehl, Zucker usw. raus. Wir versuchten, in unser Haus zu kommen. Vor dem Haus lag ein toter, verstümmelter deutscher Soldat. Alle Türen standen offen. Die Räume waren sehr verschmutzt mit Kot und Blut. Ein menschlicher Unterschenkel lag im Flur. Wir versuchten aufzuräumen. Aber wegen durchziehender russischer Soldaten mußten wir uns immer in Sicherheit bringen. Abends gingen wir wieder zurück nach Tangen. Das wiederholten wir mehrere Tage und wir versuchten, auch bei Möllers aufzuräumen. Dort war es nicht ganz so schmutzig wie bei uns, aber im Arbeitsraum lagen mehrere tote deutsche Soldaten.

Während der Aufräumungsarbeiten bei Möllers hörten wir einmal einen lauten Knall. Es war an der Brücke ein russischer Panjewagen auf eine Mine gefahren. Ein Soldat und die Pferde wurden getötet. Wir wollten nachsehen, was passiert war, und sahen schon einen russischen Offizier auf die Fleischerei zukommen. Wir liefen schnell weg, aber die Männer wurden in einen Raum eingeschlossen. Als wir circa bei Trapps waren, sahen wir, daß der Offizier mit Conny (einem jungen Polen, der vormals bei Deubles gearbeitet hatte) erregt sprach. Conny, der bei der Miliz eingesetzt war, versuchte zu erklären, daß wir die Minen nicht gelegt haben konnten, sondern, daß sie noch vom deutschen Militär stammten. Wir gingen zurück und wurden trotzdem festgenommen und sollten erschossen werden. Vater hatte gesagt: "Wenn sie uns erschießen, dann zuerst die Kinder!" Die Russen sahen uns an, sagten: "Dawaj, dawaj", und wir konnten gehen.

Einmal hatten wir bei den Säuberungsarbeiten in unserem Haus nicht gemerkt, daß wieder Russen gekommen waren. Wir ließen alles stehen und flüchteten durch die hinteren Fenster in Richtung evangelische Kirche. Die Kirchentür stand offen, und wir gingen vorsichtig hinein. Es war nichts zerstört. Wir gingen außen herum und sahen außer einem Gewehreinschuß keine Beschädigungen. In dieser Kirche hatte Herr Lehrer Mauß einen bewegten, letzten Gottesdienst gehalten; deswegen hatte er dann später bei den Polen sehr zu leiden.

In unserem Haus wurde die russische Kommandantur eingerichtet. Alle Deutschen mußten sich hier melden und wurden registriert. Man teilte die Deutschen ein zur Beerdigung der deutschen Soldaten und zum Räumen des toten, aufgeblähten Viehs. (Es wurde auch beides zusammen begraben.) Wir konnten nun nicht in unserem Haus wohnen. Möllers besaßen in der Nähe von Perlicks ein kleines Haus. Es hatte darin gebrannt, aber wir machten es uns bewohnbar und wohnten mit Möllers - jeder in einer Seite des Hauses - darin. Wir nannten es dann "Schloß Munterbach". Bei der Registration wurden auch die Berufe eingetragen, und so mußten mein Vater und Möllers zum Schlachten in die Fleischerei und zum Fischen in den umliegenden Seen. Mit kleinen Handfleischwölfen, die auch aus anderen Häusern geholt wurden, wurde alles Fleisch zu Wurst für die Russen verarbeitet. Die Waren mußten gut bewacht werden, und so wurden auch wir bewacht. Es versteckten sich auch andere Groß-Tuchner Frauen hier.

Eines Nachts wurde mein Vater von 2 Russen in die russische Kommandantur geholt. Ihm wurde wieder Sabotage unterstellt, weil in einigen Räumen kein Licht brannte. Der Grund war, daß die Russen im alkoholisierten Zustand auf die Glühbirnen geschossen hatten. Zum Glück fand er noch Birnen und konnte ihnen wieder Licht einschalten. Er versuchte, ihnen die Zusammenhänge zu erklären. Im Schlafzimmer meiner Eltern wohnte der Kommandant. Er hatte sich ein großes Himmelbett aufstellen lassen. Er sprach jiddisch, und so konnte mein Vater sich mit ihm verständigen und vieles erklären.

Nach ein paar Monaten zogen die Russen ab, die Polen übernahmen die Kommandantur und unseren Ort Groß-Tuchen. Für uns begann eine schlimme Zeit. Nun wurden die Eltern für die Feldarbeit eingeteilt. Wir Kinder gingen tagsüber zu unseren Großeltern. Sie wohnten wieder in ihrer Wohnung (auf dem Altenteil des Kolbergschen Hofes). Den Hof hatte der polnische Kommandant übernommen. Später zog er bei Dabels ein. Mutti und etliche andere evangelische Frauen mußten sich jeden Morgen um 8.00 Uhr am Dorfbrunnen melden, sie wurden bei den Polen zur Feldarbeit eingeteilt und bekamen dann einen Zettel für Brot. Das Brot wurde von einem polnischen Bäcker gebacken und in der Bäckerei Dombrowa ausgegeben. Es war sehr minderwertig. Vor der Bäckerei war der Läufer unserer Kirche ausgebreitet. So begann die Entwürdigung und Demontage der Kirche.

Eines Tages wurde das Ehepaar Möller abgeholt und nach Bütow ins Gefängnis gebracht. Auch mein Vater wurde abgeholt. In unserem Haus - jetzt polnische Kommandantur - war das Groß-Tuchner Gefängnis. Während des Krieges mußte ein Kellerraum brandsicher hergerichtet werden. Zu diesem Zweck hatte er eine Eisentür mit Eisenzarge bekommen. In diese Tür mußten sich die Gefangenen stellen, die Hände nach oben in die Zarge stecken, und die Wachleute schlugen dann die Tür zu. So wurden vielen Männern die Finger zerquetscht. Nachts hörte man oft die Schreie, wurde erzählt. Mein Vater hatte Glück, er brauchte die Hände nicht in die Zarge stecken. Er wurde auch nie verhört. Wahrscheinlich hat er das dem Polen Conny zu verdanken, der bei Deuble als Arbeiter gewesen war. Er kam oft zu uns in die Post, und Vater half ihm auch beim monatlichen Postkartenschreiben an seine Angehörigen. Nach ein paar Tagen kam auch Vater nach Bütow ins Gefängnis. Mutti traf Conny und erzählte es ihm. Vater wurde auch in Bütow nicht verhört. Im Bütower Gefängnis teilte man Vater die Pritsche zu, auf der Herr Deuble am Tage vorher zu Tode gequält wurde. Er mußte sie erst von Blut säubern. Herta Bartsch arbeitete im Gefängnis als Zivilperson. Von ihr erhielten wir Nachrichten und erfuhren auch, in welcher Zelle Vater lag. Mit Dorchen Reddis - die Frau vom Stellmacher Wilhelm Reddis, der auch dort war - ging Mutti die dreizehn Kilometer nach Bütow zu Fuß. Sie brachte Vater Eßbares und eine warme Decke.

Wir bekamen den Ausweisungsbefehl im Herbst. Mit großen Schwierigkeiten und nach mehreren Versuchen besorgte Mutti Ausreisepapiere für uns und die Großeltern Kolberg. Ohne meinen Vater wollten wir aber nicht ausreisen. Wieder erfuhren wir durch Herta, wo der Gefängniskommandant wohnt. Mutti versuchte, ihn zu sprechen und zu bestechen, um Vater freizubekommen. Es gelang ihr auch. Sie hatte ihm aufgelauert, während er zu Tisch ging.

Sie bat ihn, Vater freizulassen - er hatte ja nichts verbrochen - und übergab ihm ein Paket mit einem Anzugstoff. Nach einiger Zeit kam er und sagte: "Geh an die Farbebrücke". Dort wartete sie lange. Gegen Abend kam Vater an zwei Stöcken, völlig entkräftet und verlaust. Sie gingen die dreizehn Kilometer nach Groß-Tuchen. Hinter Damsdorf kam ihnen Miliz auf dem Fahrrad mit Alfred Möller entgegen. Sie erschraken, denn Möllers waren am Tage vorher aus dem Gefängnis gekommen und sofort nach Bütow zum Bahnhof gefahren, um auszureisen. Spät abends kamen die Eltern in Groß-Tuchen an. Ich mußte meine Großeltern benachrichtigen, daß Vater zu Hause ist und daß wir am nächsten Tag in aller Frühe von Johannes Malottki zum Bahnhof nach Bütow gebracht werden. Zu unserer Beruhigung sahen wir, daß auch Möllers wieder zu Hause waren. Wegen Alfred waren sie zurückgeholt worden. Er sollte als Arbeitskraft bei den Polen bleiben. Am nächsten Morgen war Alfred wieder da, und wir fuhren alle, auch Möllers, auf einem Wagen zum Bütower Bahnhof.

Hier wurden wir in Viehwagen verladen, fuhren tagelang, und wußten nicht, wohin es ging. Unterwegs bestahlen uns die Polen. Sie kamen in die Wagen und warfen die Gepäckstücke aus den Fenstern. Draußen waren schon welche, die aufsammelten. Wir lasen auf einem Schild "Schneidemühl". In Kreuz mußten wir aus dem Zug. Wer laufen konnte, sollte ins Lager. Das Lager war eine Panzerhalle und weit abgelegen. Die Großeltern blieben auf dem Bahnhof, weil Großvater schon recht hinfällig war. Wir wollten sie nachholen. Da es aber nicht so schnell ging, kam Oma am nächsten Tag alleine, um uns zu suchen. Meine Eltern gingen dann zum Bahnhof, um auch Opa zu holen. Die Polen hatten ihn inzwischen beraubt und ausgezogen. Er irrte umher, und es war schwer, ihn zu finden.

Nach tagelangem Aufenthalt wurden wir wieder verladen, und es sollte in Richtung Oder weitergehen. Der Zug fuhr langsam und hielt oft an. Viele Menschen waren krank und hatten Durchfall. Wenn der Zug hielt, stiegen sie schnell aus, um ihre Notdurft zu verrichten. Plötzlich fuhr er weiter, und viele schafften es nicht, ihn noch zu erreichen. Auf diese Weise wurden etliche Familien getrennt. Bei Küstrin fuhren wir über die Oder.

Im Waggon sangen die Leute "So nimm denn meine Hände". Ich dachte, alle freuen sich, weil wir über die Oder gefahren sind. Aber unser Opa war verstorben, das war der Grund des Singens. Es durfte kein Toter im Abteil bleiben, und beim nächsten Halt halfen ein paar Männer meinem Vater, Opa aus dem Abteil zu bringen. Sie hatten ihn in eine Decke eingeschlagen und in ein Schützenloch gelegt, zwischen Wriezen und Freienwalde. Ein paar Hände voll Sand scharrten sie über ihn, als plötzlich der Zug losfuhr. Alle mußten sehen, daß sie noch mitkamen. Aber mein Vater war nicht dabei. Wegen seiner Prothese konnte er natürlich nicht so schnell laufen. Wir waren in großer Sorge, ja Panik. Nach einiger Zeit kam er in unseren Waggon. Er konnte sich am letzten Wagen festhalten und hinaufziehen. Auf dieser Flucht aus Groß-Tuchen ist auch Alfred Müller gestorben an Blinddarmentzündung. Ich weiß nicht mehr, wo es war.

Nach langer Fahrt landeten wir in Klein Bünzow in Vorpommern, zusammen mit Kautzens aus Wiesenthal. Man schickte uns auf einen Bauernhof. Hier wurden wir zusammen mit Familie Kautz in der Diele untergebracht. Je Familie gab es ein Bund Stroh, und so konnten wir auf dem Fußboden unser Nachtlager aufbauen. Es war im Dezember schon sehr kalt. Am Tage suchten wir uns Eßbares. Auf den Feldern fand man höchstens eine Futterrübe, so gingen wir zum Bahnhof, dort wurden Kartoffeln und Möhren verladen. Mutti und Frau Kautz krochen unter die Waggons und konnten, zwar in furchtbarer Angst, doch etliches aufsammeln. Wenn wir uns was kochen wollten, mußten die Männer erst Knüppel im Wald sammeln. Fünf Wochen war die Brotzuteilung unterschlagen worden.

Oma Kolberg spann bei der Bäuerin Schafwolle und bekam dafür täglich ein Stück Brot; das meiste davon gab sie noch uns Kindern. Dann versuchte sie auch, mit uns bei den anderen Bauern zu betteln. Das waren furchtbare Erfahrungen. Zu Weihnachten sollte es Brotzuteilung geben. Heiligabend wurden wir von der Bäuerin reingebeten. Ein Teller Plätzchen stand auf dem Tisch, aber keiner traute sich zu essen. Wir bekamen als Geschenk ein gut eingewickeltes halbes Schwarzbrot. Dieses Weihnachtsfest 1945 werden wir nicht vergessen. Also versuchte Mutti am nächsten Tag, wieder aufzupassen, wenn in der Futterküche der Schweinedämpfer fertig war, um eine Schippe Kartoffeln zu bekommen. Diese konnten wir warm pellen und aßen sie mit Heißhunger. Die warme Suppe, die wir weit holen mußten, bestand nur aus geriebenen Kartoffeln und war sehr salzig.

Wir sahen hier keine Zukunft. Im Januar fuhren Vater und ich nach Berlin. Wir fanden seine Schwestern Meta und Ida. Beide waren kaum ausgebombt und hatten somit ihre Wohnungen behalten. Von ihnen erfuhren wir die Adresse eines Cousins zweiten Grades meines Vaters. Ich blieb bei unseren Tanten, und Vater fuhr nach Sachsen-Anhalt, um zu sehen, ob auf dem Lande eine Bleibe zu finden ist. Wir hatten großes Glück und fanden eine Wohnung. Mein Vater konnte bei seinem Cousin in der Stellmacherei arbeiten und Mutti bei dem Bauern, dem die Wohnung gehörte.

Durch den Fleiß der Eltern, Viehhaltung, drei Gärten, Besenbinden, Körbeflechten etc. sowie den guten Kontakt zu den Nachbarn fühlten wir uns in Dobritz im Kreis Zerbst recht wohl. Ich ging wieder zur Schule, und Margot wurde dort eingeschult. Ich beendete die Schule 1950. Ein Onkel in Berlin verhalf mir in Ost-Berlin zu einer Lehrstelle. Weil es für Berlin keinen Zuzug gab, war ich in Babelsberg gemeldet. Bis 1956 blieb ich in dem Betrieb. Nach einem Verwandtenbesuch mit Margot im Sommer 1956 in Siersdorf (Westdeutschland) kehrte ich nicht mehr zurück. Ich fand Arbeit und lernte meinen Mann hier kennen. Seit 1957 sind wir verheiratet und haben zwei Kinder.

Meine Eltern wohnten insgesamt 7 Jahre in Dobritz. Sie zogen dann nach Stahnsdorf bei Berlin, weil Vater wieder in seinem erlernten Beruf als Fleischer bei meinem Onkel Arbeit fand. Meine Schwester beendete 1954 die Schule in Stahnsdorf. Nach der Lehrzeit floh sie mit 18 Jahren ebenfalls in den "gelobten" Westen. Es ging über die Flüchtlingslager Berlin-Marienfelde und Gießen. Im Oktober 1958 traf sie bei uns in Siersdorf ein. Sie fand hier Arbeit, heiratete 1962 und zog nach Jülich. Heute wohnt sie in Titz (ca. 25 km von uns entfernt).

Die Eltern flohen 1960 aus der DDR. Erst wohnten sie ebenfalls in Siersdorf. Später zogen auch sie nach Jülich, wo Vater 1972 starb. Mutti lebt seit 1986 wieder in Siersdorf, ganz in unserer Nähe. Wir sind froh, hier unser Zuhause gefunden zu haben.

gez. Brigitte Vollert geb. Kolberg im Dezember 1995