Meyer

Irma Weber geb. Meyer Im Februar 1995 Georg Büchner Str. 32 06502 Thale / Harz Tel. 03947-5802

Flucht mit zwei Kleinkindern

Am 23. 2. 1945 fuhr mein Vater Reinhold Meyer uns per Pferdeschlitten nach Bütow (Kreisstadt) auf Anraten von Herrn Gustav Limberg.

Dort mußte ich mich sofort beim Transportleiter der Wehrmacht melden mit meiner Bescheinigung. Hier wurden wir auf LKWs geladen und nach Stolp gefahren. In Stolp wurden wir dem Bahnhofsdienst für "Mutter und Kind" übergeben. Am Spätnachmittag kam ein Transportzug aus Richtung Danzig. Es war ein langer Transportzug, 50-60 Wagen. Lazarettzüge durften uns, Frauen und Kinder, nicht mitnehmen. Die Wagen waren mit Stroh ausgelegt zum Schutz vor der Kälte. Unser Transport fuhr über Köslin - Kolberg auf Seitenstrecken wegen der Wehrmachtstransporte und Lazarettzüge, da für diese die Hauptstrecken freibleiben mußten. In Kolberg war Versorgung mit heißen Getränken und Kindernahrung. In Kolberg hatten wir Alarm. Flieger kamen aus der Richtung über der Ostsee im Tiefflug. Hier standen wir zwei Tage und Nächte. Es wurden uns die zwei Loks genommen für noch wichtigere Zwecke.

Dann nach zwei Tagen ging es weiter in Richtung Stettiner Haff. Auch hier mußten wir im Dunkeln übers Haff transportiert werden. Um 8.00 Uhr per Zug weiter in Richtung Vorpommern. Auf freier Strecke, wegen Alarm, blieb unser Zug stehen, und die Türen wurden geöffnet. Aus Sicherheitsgründen! Als Begleitung hatten wir Soldaten. Als wir uns nach der Wei-terfahrt erkundigten, kam ein Offizier und sagte uns, daß der Transport nach Dänemark vorgesehen war. Da wir unser Reiseziel hatten, durften wir mit Hilfe der Soldaten den Wagen verlassen. Mein Reiseziel war ja Osterwieck zur Schwester meines Mannes, Frau Margaret Kunze. Bis zum nächsten Bauernhof war es ein Stück Fußweg, und es lag viel Schnee, und es war kalt. Wir halfen uns gegenseitig. Der Bauer hatte großes Verständnis und behielt uns alle über Nacht. Am nächsten Tag wurden wir per Pferdeschlitten zum Bahnhof gefahren, 6 km. Der Name dieser Station ist mir nicht mehr in Erinnerung.

Bis Eberswalde - Berlin ging es so einigermaßen voran. Aber immer in Angst. Es kamen die Flieger. Vom Bahnhofsdienst wurden wir gut versorgt, vor allem die Kinder. Nach Berlin konnten wir nicht wegen der Angriffe; Umleitung Königswusterhausen in Richtung nach Magdeburg. Von dort seitlich Potsdam - Lindau, Kreis Zerbst; wieder waren es Flieger, aber wir hatten Glück; und dann überall mit Wartezeit. In Halberstadt war gerade der Großangriff vorbei; die Junkers-Werke, der Bahnhof waren kaum noch erkennbar.

Mit LKW ging´s nach Heudeber; dort ebenfalls vieles zerstört; hier wieder Wartezeit. Die Strecke Wernigerode - Hannover hatte Vorrang. Der Triebwagen nach Osterwieck ging erst ungefähr nach 3 - 4 Stunden weiter, aber auch hier wegen Flieger von Braunschweig in der Richtung Halberstadt nach Magdeburg. In Osterwieck angekommen, ohne Verpflegung ab Königswusterhausen; es war alles schrecklich mit zwei Kleinkindern.

Hier borgte ich mir einen Handwagen und lud meine zwei Kinder mit den paar Habseligkeiten auf und fuhr zur Schwägerin. Meine Schwägerin hatte nicht mehr daran geglaubt, daß wir noch lebten. Es war alles so schrecklich, die Tage und Nächte, und immer die Angst vor den Tieffliegern. Auch in Osterwieck gab es genug Angst. Alles, was von Braunschweig nach Wolfenbüttel abgewehrt wurde, ging über uns weg! Aber hier hatte man ja Luftschutzkeller, wo man ja splitterfrei saß.

Ich nehme an, daß ich meinen Bericht über meine Flucht von Groß-Tuchen bis Osterwieck mit meinen Kleinkindern einigermaßen verantworten kann nach so langer Zeit. (So ungefähr sechs Tage waren wir von Groß-Tuchen nach Osterwieck / Harz unterwegs.)

gez. Irma Weber geb. Meyer geb. 2. 4. 1918 in Danzig-Heubude