Christian Graf von Krockow
deutscher Politikwissenschaftler, Historiker und Schriftsteller
(* 26. 5. 1927 Rumbske/Kreis Stolp, +17. 3. 2002 Hamburg)
zur Vertreibung
Auszug mit persönlicher Genehmigung des Autors aus "Die Reise nach Pommern" (Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1985)
Vom Autor wurde u.a. geschrieben "Die Stunde der Frauen" (Bericht aus
Pommern 1944 - 1947); dieses Werk erschien auch auf Polnisch und
Englisch.
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Pomorze
Po polsku: Pommern - Pomorze
von Krockow über Bütow, Lauenburg, Rummelsburg:
Was für ein Land!
Gross Tuchen: Ein Dorf in Hinterpommern
Wie eigentlich soll man am Ende zu allem sich stellen?
Wie mit den eigenen Gefühlen ins reine kommen? Ist es überhaupt möglich, zwischen Pommern und Pomorze genau zu unterscheiden, geraten das Vergangene und die Gegenwart einander nicht doch und vielleicht hoffnungslos in die Quere?
Zur Genauigkeit des Erinnerns muß vor allem eines gehören, und man muß es wieder und wieder sich klarmachen:
Das Unheil hat nicht mit der Flucht
oder Vertreibung der Deutschen 1945 begonnen, sondern viel früher; seine Ursachen liegen tiefer. Es war der deutsche Wahn vom angeblichen »Volk ohne Raum«, von der deutschen Kultur und der polnischen Unkultur, von einer germanischen Herrenrasse und den slawischen Untermenschen, der die Schleusen öffnete. Es gab eine Hybris, eine Überhebung, die sich schrecklich gerächt hat. Der Eroberungskrieg ging von Deutschland aus, wie das Radieren auf der Landkarte, das Umbenennen und das Vertreiben.
Und dann: Kein Volk,
die Juden ausgenommen, hat unter den Schrecken des Zweiten Weltkriegs so furchtbar gelitten wie das polnische. Denn dieser Krieg wurde noch gegen die Besiegten weiter und weiter geführt. Der zeitweilige Herr auf der alten Königsburg zu Krakau, der sogenannte Generalgouverneur Hans Frank, hat einmal gesagt: »Was wir jetzt als Führungsschicht festgestellt haben, das ist zu liquidieren; was wieder nachwächst, ist von nun an sicherzustellen und in einem entsprechenden Zeitraum wieder wegzuschaffen.«,
Das waren nicht bloß Worte. Das war die Wirklichkeit.
Was also 1945 über den deutschen Osten hereinbrach und dann, wie immer, in erster Linie die Unschuldigen traf und kaum die Schuldigen, die sich durch feige Flucht oder durch den Selbstmord ihrer Verantwortung entzogen -, was über die Menschen in Ostpreußen, Schlesien, Pommern hereinbrach und sie die Heimat kostete, das kam von weit her.
Das war die Konsequenz des eigenen, des deutschen Wahns.
Im übrigen muß man daran erinnern, daß Polens neuer
Westen zum großen Teil von Menschen besiedelt worden ist, die selber vertrieben waren, nämlich aus den östlichen Gebieten, die Stalin den Polen abforderte. Sieht man die Landkarte an, so stellt man fest, daß Warschau heute beinahe so weit an den östlichen Rand Polens verschoben ist - wie Berlin an den Rand Deutschlands.
Wenn wir aber von der bitteren Vergangenheit uns losreißen, wenn wir den Blick auf die Gegenwart und, vor allem, auf die Zukunft richten, dann ist noch eines nötig: Wir müssen einen Schlußstrich
ziehen unter jegliches Auf- und Abrechnen. Wir müssen anerkennen - und dies nicht bloß mit Worten oder Verträgen, sondern wir müssen uns gleichsam von innen her, in unseren Herzen, dazu durchringen, daß 1945 eine unwiderrufliche Entscheidung gefallen ist.
Wir müssen anerkennen, daß aus Pommern Pomorze wurde, Heimat für die Menschen, die heute dort leben und arbeiten, die auf den Frieden und etwas Wohlstand hoffen, schon in der zweiten, der dritten Generation. Anerkennen im Interesse der eigenen Kinder, der
Enkel und der weiteren, noch ungeborenen Generationen, damit sie von neuem Unheil verschont bleiben.
Jahrhunderte hindurch haben Polen und Deutsche friedlich miteinander gelebt. Wenn es wieder so werden und ein neues Miteinander das Mißtrauen überwinden soll, wenn wir das Land im Osten wirklich lieben und dorthin so unbefangen reisen wollen, wie wir entsprechend unbefangen empfangen werden möchten, dann gibt es tatsächlich keinen anderen Weg: Wir müssen uns ganz und wahrhaftig zur Anerkennung dessen durchringen,
was ist. Grenzen verhärten und verschließen sich, sobald man sie antastet; sie können zu Brücken werden, wenn man sie bejaht.
Ich weiß und beeile mich, es für mich selbst zu bekennen: Dies ist leichter gesagt als getan. Zu tief waren - hüben wie drüben - die Verwundungen. Sie sind kaum vernarbt, sie bereiten noch Schmerzen; schon ein einziges unbedachtes Wort kann sie neu aufreißen. Und was vermag man denn gegen die eigenen Gefühle?
......
Aber auf einmal ist das Gesuchte da, aufgetaucht aus dem Erinnern.
Es ist ein Gedicht, schon vor anderthalb Jahrhunderten geschrieben - von einem Flüchtling aus Frankreich, der zum deutschen Dichter wurde, von Adelbert von Chamisso.' Es heißt: "Das Schloß Boncourt" und beginnt mit den Worten:
Ich träum' als Kind mich zurücke
Und schüttle mein greises Haupt;
Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder,
Die lang' ich vergessen geglaubt?
Und es sagt gegen sein Ende hin, was genauer, angemessener nicht gesagt werden kann:
So stehst du, o Schloß meiner Väter,
Mir treu und fest in dem Sinn,
Und bist von der Erde verschwunden,
Der Pflug geht über dich hin.
Sei fruchtbar, o teurer Boden!
Ich segne dich mild und gerührt
Und segn' ihn zwiefach, wer immer
Den Pflug nun über dich führt.
© Heinz Radde
1998-2019
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